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Erinnert sich jemand an das Bettelverbot? Eine Erfolgsstory. Kaum ist es jemals besser gelungen, die Defizite an sozialer Intelligenz in unserem Gesellschaftsleben so groß zu plakatieren. Vielleicht sollten alle einmal versuchen, sich durch Betteln ein Überleben zu sichern. Sich den Blicken einer Öffentlichkeit aussetzen und das unausgesprochene Geständnis: Ich habe nichts mehr. Kein Geld, keine Möglichkeit, nur diese letzte. Was haben sich die Kolleginnen und Kollegen diverser Stadtregierungen nicht ins Zeug gelegt, dass unsere Wohlstandsgesellschaft den Anblick der eigenen sozialen Unfähigkeit sich doch erspare und diese Objekte der Armut aus dem Blickfeld verbanne. Zynisch wurde diese Diskussion geführt. Ausserdem kann sich niemand erinnern, dass irgendjemanden ab der Mitte Richtung rechts Obdachlose auch nur irgendwie gekümmert hätten ausser als Störfaktoren.
Einmal mehr zeigt sich dieser Tage die zeitlose Weisheit des großartigen Geschichtenschreibers René Goscinny, Autor der ersten und auch besten Asterix-Bände, zum wiederholten Mal mit dem Zitat des alten Methusalix, das da lautet: „Ich habe nichts gegen Fremde, einige meiner besten Freunde sind Fremde, aber diese Fremden da sind nicht von hier.“ Abgesehen davon, dass er wohl das gesamte mitteleuropäische Befinden hier eindrucksvoll festgehalten hat, ist es in vielen Sparten anwendbar. Wie bereits genannt, wurden die Objekte des gesellschaftlichen Scheiterns gerade auch von der Fraktion Blau vehement bekämpft, rochen sie doch nicht bloss schamlose Untätigkeit, sondern gar organisierte Kriminalität. Plötzlich wurde plakatiert, dass zuerst unseren Armen geholfen werden sollte. „Hilfe für unsere Armen“ wurde da posaunt, aber sehr neutral gehalten: Nicht wir wollen den Armen helfen – wir wollen gar niemandem helfen, dazu müssten wir ja was tun, und das können wir nicht, könnte man da vermuten – sondern es sollte gemacht werden, eine Aufforderung an andere. Vielleicht haben sie irgendwo im Unterbewusstsein geahnt, dass mit keinem Inhalt tatsächlich keine Wahlen gewonnen werden können. Jedenfalls war das schon eine Überraschung, die plötzliche Sorge, andererseits weiß man Bescheid, dass über Leichen gegangen wird, wenn es eine Hetz´ ist, warum also nicht über Obdachlose und Bettler, die liegen auch am Boden. Und so wird die eine Minderheit gegen eine andere ausgespielt, so einfach funktioniert das, glauben ein paar.
Gleichzeitig wird die Errichtung von Grenzzäunen laut angedacht. Wortreich wurde Ungarn verurteilt. Es werden auch keine hohen Grenzzäune sein, nein, gerade nur solche Sperrelemente, um ein geordnetes Kontrollieren und Passieren zu gewähren. So gesehen kann man nur auf die österreichische Mentalität hoffen, die Dinge nur ein bisschen zu machen. So wie wir nur ein bisschen Nazis waren, die wenigsten eigentlich. Wie sagte Helmut Qualtinger als Herr Karl so schön über die Juden, die gezwungen wurden, die Strassen zu waschen? „Irgendwer hätt´s jo wegwisch´n miass´n.“ Dass es eine Hetz´ war, wurde schnell vergessen. Der Plan war also ein Zaun, von Spielfeld flussauf- und abwärts jeweils ein Stück. Fünf Meter hoch. Viktor Orbán ist immer noch garstig in österreichischen Augen, zumindest in manchen noch. Trotzdem Zaun. Das ist so wie das rote Bollwerk gegen Blau, dass nun mit Blau im Burgenland koaliert und gleichzeitig eine Kampagne führt gegen blaue Regierungsbeteiligungen, wie in Oberösterreich zum Beispiel. Nun mehren sich Stimmen gegen diesen Zaun, und zwar aus der eigenen Bevölkerung in und um Spielfeld. Das hat aufs erste überrascht, die Begründung für die Ablehnung hat es aber wieder ein wenig relativiert. Angeprangert wird da zum Beispiel, dass die EU-Aussengrenzen uns im Stich gelassen hätten. Und „ . . . fünf Kilometer Zaun, daunn gehen sie holt weiter oum oder unten drüber“. Also was dann? Gleich alles dicht? Ausserdem wird gemeint, dass für das viele Geld für einen Zaun lieber „ . . . Stråss´n g´richtet wern oder die Sandler in Graz oder Wien g´hulfn.“ Aha. Interessant, wer alles sich plötzlich um unsere Obdachlosen Sorgen macht. Um die Sorge ums Autofahren wissen wir ja Bescheid. Vorweg: es ist schön, so etwas zu hören, aber es stimmt traurig, aus welchen Gründen Solidarität entsteht. Offenbar braucht es immer noch eine Instanz darunter, um einer anderen Gruppe von Menschen Hilfe angedeihen zu lassen, die dann einen Sprung nach oben macht. Obdachlose werden hier als billiges Material instrumentiert und zitiert, ohne dass sich irgendetwas ändern wird, sonst gäbe es in diesem Land schon längst eine angemessene Grundsicherung für alle, die Obdachlosigkeit vergessen lassen könnte. Als nächstes könnte nämlich der Vorschlag kommen, zuerst Unterkünfte für unsere Obdachlosen zu organisieren, bevor, ja bevor was, das traut sich dann vorerst noch niemand auszusprechen. Möge es dabei bleiben. Immer wieder Österreich.
Gefragt wäre indes prinzipiell die Europäische Union, wie es denn nun tatsächlich mit der stets bemühten Wertegemeinschaft aussieht. Es steht nicht zu befürchten, sondern es ist Gewissheit, dass es um die Werte in diesem Europa miserabel bestellt ist. Als relativierend wird angeführt, dass einige Staaten sich gerade erst aus dem Kommunismus geschält hätten und nun mit einer Zuwanderung überfordert wäre. Dann hätte ein EU-Beitritt für solche Länder eventuell ein wenig genauer überdacht werden sollen, von den Beitrittsländern selbst auch. Es befinden sich aber auch EU-Gründungsländer in diesem Pool von Verweigerungsstaaten, die eindrucksvoll bestätigen, dass es sich hierbei um eine Wirtschaftsunion handelt, die sich einen Dreck um humanitäre Befindlichkeiten schert. Interessant, wie schnell die Grenzbalken zugemacht werden. Der blödeste Satz aber, der von allen und in der Zwischenzeit auch von unserer Innenministerin zu hören war: Merkel hat die Flüchtlinge gerufen, also soll sie sie auch nehmen. Als ob die Menschen aus dem Krieg flüchten würden, weil Merkel sie angerufen hat. Und es ist unfassbar, wie hart eine Politikerin attackiert wird, die Humanismus und das Recht auf Asyl auf ihre Fahnen heftet, weil sie sich einfach auf die Grundwerte einer solidarisch gesinnten Gesellschaft beruft, auf die immer mehr pfeifen. Wenn wir schon auf dieser Argumentationslinie sind, muss man sofort entgegnen, dass unter anderem ganz Europa an diesen Kriegen zumindest mit Waffen gute Geschäfte gemacht hat und immer noch macht, also müssen wir die Menschen annehmen, die aus den Trümmern, angerichtet von europäischem Werkzeug samt Munition, ihr Land verlassen müssen. Das will niemand hören, und da es niemand hören will, dürfte schon ein Quantum Wahrheit dabei sein. Trost nicht. Es passt nicht in die Bequemlichkeit, die Europa auf Kosten anderer Weltregionen genießt, und es ist idiotisch zu glauben, dass das immer so weiter geht.
Wenn alle an einem Strang ziehen würden, wäre die momentane EU-Erweiterung eigentlich vorstellbar. Dass alle Menschen in Deutschland bleiben können ist unmöglich, aber hat die EU nicht viel mehr Mitgliedsstaaten? Sind nicht fast alle Staaten Einwanderungsländer? Eben. Es ist unverständlich, warum hier niemand laut über Sanktionen oder gar den Ausschluss für Länder aus der EU nachdenkt, wenn nicht das Minimum an Solidarbeitrag geleistet wird und also Flüchtlinge aufgenommen werden. Zwangsweise kann natürlich niemand irgendwo hin gesetzt werden. Ich möchte auch nicht in Ungarn sein müssen. Ungarn, als Beispiel, muss aber auch nicht in der EU bleiben, dieser Gedanke drängt sich auf, will die EU ihr Gesicht nicht vollkommen verlieren.
Ein Journalist und Buchautor hat einen Witz erzählt von der Telefonnummer, die sich einst Henry Kissinger gewünscht hat, um die Aussenpolitik Europas zu erreichen. Dort meldet sich ein Anrufbeantworter, und er erklärt: „Um die französische Sicht der Dinge zu hören drücken Sie die Eins, für Deutschland die Zwei, für . . .“. In Wirklichkeit existiert gar kein Telefon. Es gibt auch keine Aussenpolitik. Es gibt keine Solidargemeinschaft. Nirgendwo ist so etwas wie Innenpolitik zu finden. Es gibt keine Finanzpolitik, keine Wertegemeinschaft. Es gibt viele Köpfe, die teilweise im Sand stecken und es gibt noch mehr Köpfe, die nicht einmal klug genug sind, um wenigstens dort zu stecken. Besser ist es um Europa leider nicht bestellt....
[Kolumne/Walter Schaidinger/02.11.2015]
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